Projektbeschreibung
Wohlmeinende Autokratinnen in Demokratien. Gemeinwohlvorstellungen von Stiftungen und der Faktor Partizipation
Wachstum und Wandel gemeinnütziger Stiftungen im 21. Jahrhundert
Gleichwohl die Geschichte von privat initiierten und als gemeinnützig anerkannten Stiftungen räumlich und zeitlich stark variiert und Stiftungen in ihren jeweiligen nationalen Kontexten sehr unterschiedliche Positionen einnehmen, ist es besonders seit den Nullerjahren in vielen westlichen Demokratien zu einem neuerlichen und umfassenden Bedeutungswandel und -gewinn von Stiftungen gekommen: Sie wurden erstens zahlreicher und vermögender; zweitens werden Stiftungen von der staatlichen Politik mit liberalen Stiftungsgesetzen hofiert und zunehmend stärker unterstützt; und drittens haben sich Stiftungen deutlich anspruchsvolleren Zielen als zuvor zugewandt und gelten Beobachter*innen daher als politischer als je zuvor.
Im Ergebnis ist in vielen westlichen Demokratien, darunter in den USA und in Deutschland, zu erkennen, dass Stiftungen sich nicht mehr allein als (mildtätige) Unterstützerinnen von politisch vorentschiedenen Gemeinwohlideen verstehen, sondern sich zunehmend öfter und engagierter als Agentinnen des sozialen Wandels entwerfen. Als solche beanspruchen sie, gesellschaftliche Strukturen in einer besonders aufgeklärten, unabhängigen und effektiven Weise zum Besseren transformieren zu können. Wie in vielen anderen Bereichen des sozialen Wandels sind es oftmals US-amerikanische Entwicklungen, welche die Stichworte liefern, die von Stifter*innen und Stiftungen aufgenommen, an lokale Gegebenheiten angepasst oder aber zurückgewiesen werden. Beispiele sind „venture philanthropy”, „creative philanthropy“, „strategic philanthropy“, „philanthrocapitalism“ oder die Absicht, einzelne Stiftungsprogramme über Logical Frameworks an der Differenz von Output, Outcome und Impact zu strukturieren, um die Wirkung von Stiftungsarbeit zu erhöhen.
Diese Skizze der gegenwärtigen Veränderungen in der Stiftungswelt deutet darauf hin, dass die allgemeinen Bedingungen für die Möglichkeit der neuerlichen Blüte von Stiftungen ausgesprochen günstig sind. In der Tat ist erstens herauszustellen, dass die sehr ungleichen Vermögensverteilungen und damit verbunden die Akkumulation von Vermögensanteilen in den Händen einiger weniger eine wichtige Bedingung für Stiftungen als eine spezielle Form der Philanthropie sind. Die ungleiche Vermögensverteilung führt nicht allein zu einer neuerlichen Problematisierung von Ungleichheiten in der Gesellschaft, sondern stellt Vermögende ganz praktisch vor die Frage, was sie mit ihren Vermögen machen (möchten) und lässt die Moralphilosophie diskutieren, welche individuellen Pflichten aus dem Besitz von Vermögen erwachsen. Stiftungen sind dabei eine kaum zu unterschätzende Möglichkeit für Reiche, einen Teil ihres Vermögens abzugeben. Ob daraus ein Goldenes Zeitalter von und für Stiftungen folgt, ist indes fraglich: Der Anteil von Spenden und Stiftungen in Relation zum BIP ist im internationalen Vergleich zwar krass unterschiedlich, aber in den einzelnen Staaten über Jahrzehnte erstaunlich gleichbleibend. Zweitens, und philanthropisches Engagement ebenfalls begünstigend, ist zu beobachten, dass es seit den 1980er Jahren und dann verstärkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einem Anschwellen eines vielschichtigen Lobs auf die Stärken und Notwendigkeiten einer lebendigen Zivilgesellschaft für das Gedeihen von liberalen Demokratien gekommen ist.. Gleichwohl die Zusammenführung von Stiftungen und Zivilgesellschaft nicht bedeutet, dass Stiftungen ausschließlich in Demokratien entstehen, kann dennoch gesagt werden, dass Stiftungen gegenwärtig vor allem in Demokratien gediehen. Sie nehmen dort für sich mehr oder weniger explizit in Anspruch, selbst Teil der Bedingungen des freiheitlichen Staates zu sein, der – im Sinne des sogenannten Böckenförde-Diktums, seine eigenen Voraussetzungen nicht selbst garantieren kann. Daher verwundert es nicht, dass Stiftungen und andere Akteure der Zivilgesellschaft in den sogenannten neuen Autokratien einen schweren Stand haben. Der Reigen der wichtigen Gunstfaktoren wird drittens durch Diskurse abgerundet, die in unterschiedlichen Formen behaupten, dass die formale nationalstaatliche Politik den anfallenden Aufgaben allein nicht gewachsen ist. Vielmehr bedürfe es neuer Optionen, z.B. technischer, sozialer, politischer oder eben auch zivilgesellschaftlicher Art, um sowohl den spezifisch lokalen als auch den immer öfter planetarisch skalierten Herausforderungen zu begegnen. Stiftungen greifen diese Diskurse dankbar auf und gestalten sie mit. Dabei geht es aktuell und ganz im Sinne unseres Forschungsvorhabens um Demokratie und Partizipation, um die sozial-ökologische Transformation oder um Versuche, gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Wissenschaft auf einen Transformationsimperativ einzuschwören.
Transformative Philanthropie und Stiftungen als Organisationen
In diesem sich einander bedingenden Wechselspiel von begünstigenden Bedingungen einerseits und stifterischem Gestaltungs- und Souveränitätsstreben andererseits kommt den Stiftungen ihre grundsätzliche Unabhängigkeit zupass. Im Unterschied zu praktisch allen anderen Organisationen sind sie nach der initialen Widmung einer Vermögensmasse für einen gemeinnützigen Zweck und der Etablierung einer dazugehörigen Rechtspersönlichkeit relativ ressourcenunabhängig, da ihre Finanzmittel primär aus den Erträgen ihrer Vermögen stammen und nicht, wie bei allen anderen Organisationen, aus den jeweiligen sozialen Umwelten, in denen sie permanent als legitim erscheinen müssen, um die nötigen Ressourcen zu generieren. Auch die Tatsache, dass Stiftungen aus generösen und freiwilligen Gaben hervorgehen und zu Gaben im Sinne des Gemeinwohls verpflichtet sind, steigert ihre Legitimität und erschwert die Kritik an ihnen.
Interessanterweise haben Stiftungen einen Teil ihrer Unabhängigkeit zuletzt aufgegeben, weil sie sich zunehmend Zielen zugewandt haben, die sie unmöglich alleine erreichen können. Diese Ziele und die daran anschließenden Programme, die wir als transformative Philanthropie bezeichnen, verhalten sich nicht mehr substitutiv/subsidiär zur Politik oder anderen Umwelten. Vielmehr bevorzugen Stiftungen Programme kompetitiven und komplementären Charakters. Dabei geht es weniger um Unterstützung von bereits entschiedenen Gemeinwohlideen (wie etwa bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die sich allein jenen Objekten zuwendet, die zuvor die politische Klassifikation als Denkmal erhalten haben), sondern um den Wettbewerb unterschiedlicher Gemeinwohlkonzepte und um die Herausforderung von Entscheidungen. Das führt dazu, dass Stiftungen zwar weiterhin autonom sind, sich aber auf eine Vielzahl (wechselnder) Allianzen, Kooperationen und Netzwerke einlassen, weil sich Projekterfolge nun in Änderungen bemessen, die in den jeweiligen sozialen Umwelten gezielt herbeigeführt werden. Nimmt man nun aus guten Gründen an, dass Stiftungen wie alle anderen Organisationen keinen direkten und instruktiven Zugriff auf ihre Umwelten haben, als zivilgesellschaftliche Akteure zudem auf freiwillige Änderungen in ihren Umwelten angewiesen und rechtlich vor allem auf das Mittel der Gabe verpflichtet sind, dann stehen sie vor mannigfaltigen organisatorischen Herausforderungen. Insbesondere wenn sie gesellschaftliche Transformationen auslösen wollen, also nicht bloß auf Outputs, sondern vermehrt auf Outcomes und Impacts abzielen, bestehen nur dann realistische Erfolgschancen, wenn die von ihnen entworfenen Welten samt der darin identifizierten Mängel als gültig akzeptiert werden, ihre Ziele Zuspruch erfahren und die eingesetzten Mittel als sinnvoll betrachtet werden. Daher müssen Stiftungen zwingend Legitimität für sich und ihre Programme generieren – nicht weil sie Ressourcen für sich als Stiftung bräuchten, sondern weil ihre Ziele nicht ohne die Ressourcen, Leistungen oder Veränderungen anderer zu erreichen sind.
Demokratische Einbettung und demokratietheoretische Herausforderungen
Diese organisatorische Notwendigkeit der Legitimitätsproduktion wird um eine demokratische Notwendigkeit ergänzt. Zentral ist hierbei die Rechtskategorie der Gemeinnützigkeit, die Stiftungen erhebliche Steuerprivilegien gewährt und sie zugleich an die staatliche Politik bindet. Über das Gemeinnützigkeitsrecht honoriert und fördert der Staat bürgerschaftliches Engagement, das dem Gemeinwohl dient, und überträgt damit einen Teil jener Verantwortlichkeit, die er sich selbst zuschreibt, privaten Akteuren. Der Gemeinwohlbezug rechtfertigt somit sowohl die Ausübung von politischer Macht als auch die Existenz und das gesellschaftliche Wirken von Stiftungen. Und mehr noch: Der Staat räumt privaten Stiftungs- und Spendeninitiativen weitreichende Autonomie ein – Autonomie, die von Stiftungen aufgrund der finanziellen Hebelwirkung ihres Handelns besonders effektiv genutzt und in gesellschaftlichen Einfluss übersetzt werden kann. Für den Staat entspricht dieses Moment der Selbstbeschränkung einem liberalen Politikverständnis, das individuelle Freiheits- und Gestaltungsräume betont und gesellschaftlicher Pluralisierung Rechnung trägt. Die Ungezwungenheit, mit der in der politischen Debatte mit dem Gemeinwohlbegriff hantiert wird, verstellt jedoch leicht den Blick auf die nicht völlige, aber doch weitgehende Unbestimmtheit des Begriffs. Da eine substanzialistische Gemeinwohlbestimmung seitens des Staates mit den Grundprinzipien und dem Selbstverständnis moderner Demokratien unvereinbar ist, bleibt in demokratischen Ordnungen allein die prozedurale Bestimmung des Gemeinwohls – über Partizipation und Mehrheitsentscheidungen auf der Grundlage universeller und egalitärer Partizipation – als einzig legitimer Mechanismus übrig.
Der Widerspruch zwischen demokratischen Idealen und der Handlungs- und Entscheidungspraxis von Stiftungen liegt auf der Hand. Stiftungen unterliegen, einmal gegründet und sich fortan selbst gehörend, kaum noch demokratischer Kontrolle. Und mehr noch: Sie können kollektiv bindende Entscheidungen herbeiführen – z. B. in Governancenetzwerken, innerhalb strategischer Allianzen oder mittels übermächtigender Gaben –, die zwar nicht per se als undemokratisch gewertet werden können, sich aber dem Mehrheitsprinzip bewusst entziehen. Gerechtfertigt wird dies mit Verweis auf das republikanische Ideal aktiver bürgerlicher Teilhabe, auf Tocquevilles Plädoyer für private Gemeinwohlinitiativen als Fundament der demokratischen Ordnung oder unter Berufung auf die Idee der Zivilgesellschaft, die eine gewaltlose und kollektive Partizipation bei der Gestaltung des Gemeinwohls einfordert – auch und gerade als Gegenpol zum Staat. Stiftungen selbst sehen dabei häufig die Distanz zu den oftmals langwierigen und vermeintlich umständlichen demokratischen Entscheidungsprozessen als ihre Stärke. Sie kokettieren mit dem Moment der Exklusion und beanspruchen eine gegenüber der kurzsichtig agierenden staatlichen Politik überlegene Position, von der aus sie aktuell nicht mehrheitsfähigen, aber wichtigen Gemeinwohlkonzepten Geltung verschaffen und Innovationen befördern. Stiftungen, so lässt sich zuspitzen, agieren als wohlmeinende Autokratinnen in Demokratien.
Legitimität und Partizipation
Die organisatorischen Herausforderungen, die sich aus der Spannung zwischen republikanischem Ideal und Einsatz für das Gemeinwesen auf der einen Seite und den demokratischen Inklusions- und Kontrolldefiziten auf der anderen Seite ergeben, reflektieren und bearbeiten Stiftungen auf sehr verschiedene Arten. Abstrakt gilt aber sowohl organisations- als auch demokratietheoretisch, dass sie um ihre Legitimität ringen müssen. Speziell an diesem Punkt spielt Partizipation offensichtlich eine zentrale Rolle: Stiftungen betonen nicht nur ihre eigene Kompetenz als Teilhaberinnen an politischen Entscheidungsprozessen, sondern eine signifikante Zahl von ihnen baut partizipative Elemente in die eigenen Programme ein, um so ihren Gemeinwohlideen die notwendige Legitimität zu verschaffen. Konkret laden sie zur freiwilligen Teilnahme an ihren Transformationsprogrammen ein (vgl. die Projekte „100 Resilient Cities” der Rockefeller Foundation oder das StadtteilBotschafter-Programm der Stiftung Polytechnische Gesellschaft), versuchen Ehrenamtliche an sich zu binden oder bieten aus ihrer Sicht marginalisierten Stimmen Partizipationsmöglichkeiten, um spezifische Gemeinwohlvorstellungen zu artikulieren.
Leitfragen des Projekts
Wenn Stiftungen an gesellschaftlichem Einfluss gewinnen und nach neuerlichen Gestaltungschancen und mehr Souveränität gegenüber jenen staatlichen Autoritäten streben, die ihnen ihre Autonomie gewähren, und wenn sie ihre Gemeinwohlideen zunehmend mittels transformativer Programme umzusetzen versuchen und dabei den Faktor Partizipation sowohl zur Reklamation ihrer politischen Teilhaberechte als auch bei der Initiierung, Moderation und Kontrolle ihrer Programme nutzen, dann stellen sich wenigstens drei unterschiedliche, aber miteinander verbundene Fragen:
1. Welche Gemeinwohlvorstellungen vertreten Stiftungen und wie erscheint darin der Faktor Partizipation?
Mit dieser allgemeinen Forschungsfrage wird grundlegend in Erfahrung gebracht, welche Gemeinwohlvorstellungen von Stifter*innen und Stiftungen vertreten werden, in welchen Formen der Faktor Partizipation dabei in Erscheinung tritt und welche Bedeutung ihm sowohl bei der Rechtfertigung der eigenen Position als auch bei der Gestaltung der konkreten Programme beigemessen wird.
2. Wie werden die Gemeinwohlvorstellungen in Stiftungsprogramme umgesetzt?
Weil der Entwurf und die Umsetzung speziell von transformativen Programmen nicht-triviale organisatorische Herausforderungen beinhaltet, soll in einem zweiten organisationstheoretisch fundierten Schritt ergründet werden, wie Stiftungen ihre Strategien, Arbeitsmodi, Programmelemente etc. formal gestalten, sie in der Praxis umsetzen und welche Rolle dabei der Faktor Partizipation spielt.
3. Welche Effekte haben die Stiftungsprogramme auf gesellschaftliche Partizipation und politische Inklusion in Demokratien?
Aus einer demokratietheoretischen Perspektive wird es anschließend um das Verhältnis von Stiftungen und ihren politischen Kontexten gehen: Wer oder was partizipiert mittels Stiftungsprogrammen und gestaltet das Gemeinwohl mit? Welche politischen Inklusionseffekte gehen damit einher und wie gestaltet sich das Verhältnis von Stiftungen und staatlichen Institutionen empirisch?
Diese drei wissenschaftlichen Fragen und Problemstellungen werden uns zu empirischen Erkenntnissen über die Möglichkeiten und Grenzen stifterischen Engagements im Zusammenhang mit Partizipation führen, die wiederum auf klare theoretische Begriffe zu bringen sind. Auf dieser Grundlage suchen wir im Laufe des Projekts verstärkt Kooperationen mit Stiftungen, innerhalb derer es nicht mehr allein um die Produktion von Wissen, sondern transdisziplinär um Dialog, Verständigung und praktische Problemlösungen geht. Dabei ist es wichtig, dass wir zuerst autonom forschen, damit wir die normativ-politischen Diskussionen mit den zum Teil definitionsmächtigen Stiftungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen informieren und stimulieren können.